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Schrumpelfrüchte sind die wahren Schätze

Obstkorb
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© Land:Belebt
Gedörrte Birnen sind braun, schrumpelig und steinhart, aber für das unterfränkische Fatschenbrunn sind sie die Stars der Vielfalt. Dort weiß man um den Wert der besonderen Birnbaumsorten und dörrt die Früchte seit jeher zu Hutzeln. Nun wurde die Sortenvielfalt verjüngt, dafür gab es auch wissenschaftliche Unterstützung.

Hutzeln und Flurneuordnung sind jeder für sich zwar sperrige Begriffe, doch in Fatschenbrunn, das zur Gemeinde Oberaurach im Landkreis Haßberge gehört, haben sich beide zu einer gedeihlichen Symbiose vereint. Das Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken (ALE) hat sich nämlich der Sortenvielfalt lokaler Birnen- und anderer Obstsorten angenommen, die perfekt an das raue Klima des Steigerwaldes angepasst sind und eine wichtige Rolle in der Fatschenbrunner Kulturgeschichte und in den Küchen des Dorfes spielen. So wurden Ausgleichmaßnahmen für die Flurneuordnung zu einer Initialzündung für den Erhalt einer besonderen Sortenvielfalt und für die Stärkung eines Fatschenbrunner Alleinstellungsmerkmals.

Zur Sicherheit zweistöckig
Wie hat man die Fatschenbrunner einst bemitleidet. Noch in den 1960er Jahren galt der Ort als ärmstes Dorf in den Haßbergen, auf einer Rodungsinsel im Steigerwald gelegen und vom Wirtschaftswunder vergessen. Die Ausgangsbedingungen für die Landwirtschaft waren dort seit jeher alles andere als ideal: Kleine Grundstückszuschnitte, mäßige Bodengüten und klimatisch schwierige Bedingungen. In Fatschenbrunn fuhr man deshalb mit „Baumfeldern“ zweigleisig – besser zweistöckig. Die Äcker waren nicht nur mit Getreide und Hackfrüchten bestückt, sondern auch von Obsthochstämmen durchzogen. Der Obstbau war die Rückversicherung für schwankende Erträge und Missernten im Ackerbau. Diese Stockwerkskultur, die schon im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet war, ermöglichte einerseits eine intensive Bodennutzung. Anderseits entwickelte sich eine Sortenauswahl von Birnen und anderem Obst, die in der klimatisch wenig verwöhnten Höhenlage noch ordentliche Erträge brachten. Damit nicht genug. Die Fatschenbrunner dörrten ihre vielen Birnen zu Hutzeln und verkauften diese an Großbäckereien für die Lebkuchenherstellung. Das verschaffte dem Ort bis in die 1980er Jahre eine wichtige Einnahmequelle. 35 Hutzeldörren waren in der Blütezeit in Betrieb und für viele Familien brachten die Hutzeln ein wichtiges Zubrot.

Eine gute Grundlage
Die ältesten Bäume in den Feldern bringen es auf rund 180 Jahre und noch heute pflegt der 300-Einwohner-Ort diesen kulturlandschaftlichen Schatz in der Fatschenbrunner Flur. Doch diesen besonderen Genpool an Obstsorten gilt es zu sichern, nicht zuletzt, weil viele der Bäume keine allzu lange Lebenserwartung mehr haben. Das ALE Unterfranken startete dafür mehrere Maßnahmen. Eine davon war die Finanzierung der wissenschaftlichen Grundlagen in Zusammenarbeit mit den Universitäten Bamberg und Erlangen. Die Teilnehmergemeinschaft beauftragte eine Botanikerin, den Bestand an Obstbäumen zu kartieren und die Sorten zu bestimmen. Knapp 300 Bäume, hauptsächlich Birnen, aber auch Apfel-, Kirsch-, Zwetschgen- und Walnussbäume, wurden zwischen 2014 und 2015 erfasst. Das Ergebnis bestätigte die Vermutung: Die meisten Früchte sind lokal verbreitete Sorten, die im rauen Steigerwaldklima hart im Nehmen sind und sich gleichzeitig als Dörrobst eignen. Die „Fuhdbirne“ etwa und die zitronengelbe „Schmahbirne“. Oder die „Altershäuser Birne“, die ihren Charme erst als Hutzel entfaltet und aus dem nicht weit entfernten Altershausen stammt. Einige Sorten konnten auch gar nicht mehr genau bestimmt werden. Ein ganz besonderer Schatz der Vielfalt ist das also, was da in der Fatschenbrunner Flur so selbstverständlich steht.

Veredeln sichert Vielfalt
Ein schönes Erbe. Doch so einfach lassen sich die Fatschenbrunner Obstbäume nicht nachpflanzen. Denn diese speziellen Sorten sind natürlich nicht im Handel, für ihren Erhalt braucht es also gärtnerisches Können. Deshalb wählte die Teilnehmergemeinschaft einhundert der kartierten Bäume aus und beauftragte eine Baumschule mit der Veredelung des wertvollen Materials. Damit daraus aber neue Obstbäume in der gewünschten Vielfalt wachsen können, braucht es frische junge Triebe von den alten Bäumen. Ein gezielter Rückschnitt brachte genügend Schwung in den Altbaumbestand, so konnte die Baumschule noch im gleichen Jahr ausreichend Material zum Veredeln gewinnen.

Mehr Fatschenbrunner Vielfalt für alle
Zweihundert neue Jungbäume - zwei pro Sorte - sind zwischen 2015 und 2018 herangewachsen, damit war die Zeit für das nächste Maßnahmenpaket gekommen. Die Baumschule grub die kostbaren Schätze im Herbst 2018 aus. Ein Großteil davon bereichert die Flur nun als Ausgleichsmaßnahme mit neuer altbewährter Sortenvielfalt. Doch das ALE Unterfranken hat das ganze Dorf im Blick. Mit der Aktion „Mehr Grün durch Ländliche Entwicklung“ war es möglich, die Fatschenbrunner Obstsorten auch für private Flächen zur Verfügung zu stellen. Wer weiß, vielleicht erwärmen sich ja auch wieder mehr Familien für die Hutzelproduktion? Zehn intakte Dörren gibt es jedenfalls noch im Dorf.

Was wird nun daraus?
Das ALE Unterfranken hat in Fatschenbrunn mehr als nur Ausgleichsmaßnahmen geschaffen. So sind verschiedene Forschungsprojekte an den Universitäten Bamberg und Erlangen entstanden, die charakteristische Baumfelderkultur bleibt im Landschaftsbild erhalten und die spezielle Obstsortenvielfalt ist gesichert und verjüngt. Und die Hutzeln? Auch wenn heute nur noch zwei Familien Birnen dörren, haben die Hutzeln das Zeug zu dem, was man „Alleinstellungsmerkmal“ nennt. Sie entwickeln sich zunehmend zur kulinarischen Spezialität, die mittlerweile sogar als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist. Vielleicht werden sie ja irgendwann zum „Gold von Fatschenbrunn“? Übrigens: Vom ärmsten Dorf ist heute keine Rede mehr. Der kleine Ort ist so begehrt geworden, dass es sogar Wartelisten für freiwerdende Häuser gibt. Das liegt zwar nicht nur an den Birnen, aber vielleicht am attraktiven Landschaftsbild und dem Ideenreichtum der Fatschenbrunnner.
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