Wie ein Gemälde präsentiert sich das hügelige Jungmoränengebiet des Pfaffenwinkels im Landkreis Weilheim-Schongau. Neben den landschaftlichen Schönheiten sind es auch die kunsthistorisch bedeutsamen Kirchen, Klöster und Bauernhäuser, die den Reiz der Gegend ausmachen. Dort ist der Erlebnispädagoge und Landschaftshistoriker Ludwig Bertle zu Hause. Der begeisterte Bergsteiger und Bergführer kam als junger Lehrer nach Peißenberg. Im nahegelegenen Eglfing fand er mit seiner Familie ein neues Zuhause. „Man konnte bereits damals feststellen, dass sich die heimische Kulturlandschaft in erstaunlichem Tempo zu ihrem Nachteil veränderte“, erinnert sich Ludwig Bertle. „Schon damals war mir klar, dass ich mich für den Erhalt dieser Kulturlandschaft einsetzen muss.“
Mit der Gründung des Vereins für Gartenbau und Landschaftspflege durch eine kleine Gruppe von Engagierten gab es in Eglfing auch wieder einen Gartenbauverein, der sich um die lokale Landschaft, Vegetation oder Biotope kümmerte, erzählt Ludwig Bertle. Die Wiederbelebung dieses Vereins war auch der Wegbereiter für die Dorferneuerung zwischen 2003 und 2016. „Projekte wie die Renaturierungen des Tautinger Weihers oder des Hungerbachs, der Bau des Naturerlebnisspielplatz oder große Pflanzaktionen hätten wir ohne die Dorferneuerung mit Unterstützung des Amtes für Ländliche Entwicklung (ALE) Oberbayern nicht realisieren können.“
Was eine Kulturlandschaft ausmacht
Bei der Frage, was die Kulturlandschaft im Pfaffenwinkel ausmacht, geht
Ludwig Bertle in die jüngste Eiszeit zurück: „Geomorphologisch betrachtet ist
unsere Gegend durch Gletscher aus den Zentralalpen entstanden. Der
Loisachgletscher bahnte sich seinen Weg bis ins Alpenvorland hinein. Unter dem
schon bestehenden Molasseuntergrund aus Sedimentsgesteinen entstanden die
bayerischen Seen, wie z.B. der Staffelsee. An den Rändern der Gletscherzungen
lagerte sich Geröll ab und bildeten Moränenwälle. Aus all dem entwickelt sich diese typisch wellig-hügelige Landschaft, die der
Mensch vor allem durch Ackerbau und Weidewirtschaft prägte. Inmitten dieser
Flur spenden im Sommer einzeln stehende Bäume,
vorwiegend Eichen, mit ihren ausladenden Kronen Mensch und Tier
gleichermaßen Schatten. Aber auch die Alleebäume an den Straßen und die Hecken und Gehölze
entlang der Feldwege gehören zu dieser Kulturlandschaft.“
Einzigartig in der Region sind auch die vielen Altwässer, Hochmoore und Feuchtwiesen mit ihrer spezifischen Flora und Fauna. Bekannte Beispiele sind das Murnauer und Weilheimer Moos. Sie entstanden beim Rückzug des Gletschers und der späteren Verlandung des Gebiets, so Ludwig Bertle. Teil dieser Kulturlandschaft seien aber auch die originalen Bauernhäuser, Kirchen und öffentlichen Gebäude aus dem gelblich-grauen Tuffstein. Der leichte und poröse Baustein wurde im benachbarten Huglfing abgebaut. Als regionaler Baustoff spiele er heute keine Rolle mehr.
Was eine bedeutsame Kulturlandschaft ausmacht, sei schwierig zu definieren, meint Ludwig Bertle. Sie sei etwas Dynamisches und werde im positiven wie im negativen Sinne durch den Menschen geprägt und verändert. Letztendlich gehe es aber darum, ein landschaftliches Erbe zu bewahren, dass sich im ästhetischen wie auch ökologischen Sinne bewährt habe.Gefahren für das Landschaftsbild
Die Nutzungsinteressen und Einflüsse, der die Kulturlandschaft
ausgesetzt ist, sind vielschichtig: Tourismus, intensive Landwirtschaft und
Flächenfraß durch Gewerbegebiete, Wohnungs- und Verkehrswegebau setzen der
Landschaft zu. Als Sohn eines Landwirts aus dem benachbarten Ostallgäu kennt
Ludwig Bertle diese Interessen, weiß aber auch um die Sensibilität der
Bergregion und des Voralpenlandes. „Die Einheimischen kennen den ästhetischen Wert ihrer Landschaft und der Flurbäume sehr
wohl“, sagt Ludwig Bertle. Für die Bauern sei es ein Abwägungsprozess zwischen
Ästhetik, Praktikabilität und Kosten. Und im Zweifel gehe dies auf Kosten der
Ästhetik, auch wenn bei einigen Landwirten schon ein Umdenken einsetzt habe.
Deutlich werde dies bei den Flurbäumen. Für viele Bauern stellen sie bei der
Maschinenbewirtschaftung eher ein Hindernis dar. Insbesondere wenn auf den
Weiden großflächige Monokulturen entstehen. Dabei werden häufig ökologisch wertvolle Flurbäume, Hecken und Gehölze geopfert.
Zunehmend verschwinden auch Blumen- und Streuobstwiesen als Teil der
Kulturlandschaft. Heute gäbe es kaum mehr Grasflächen mit einer Vielzahl an
Pflanzenarten, betont Ludwig Bertle. „Silowirtschaft, Maisanbau, viele Schnitte
pro Jahr, ertragreiche Grassorten tendieren in der heimischen
Grünlandbewirtschaftung zur Monokultur. Also das Gegenteil von blühenden Wiesen
und Diversität. Und an der Pflanzenvielfalt hingen die Lebensräume der Insekten, Vögel, Amphibien, Kleintiere.“
Abgesehen vom Flächenfraß führt er dies vor allem auf die sich verändernde Landwirtschaft zurück. „Während es früher viele kleinere Betriebe gab, sind es heute weniger, aber deutlich größere. Diese siedeln in die Fläche, legen Flächen zusammen, roden dabei Hindernisse wie Hecken und Gehölze, lösen Zäune und damit natürliche Blühstreifen auf. Einzelbäume, die absterben oder im Sturm fallen, werden außerdem selten nachgepflanzt.“ Aber auch die Trockenlegung von Mooren zur landwirtschaftlichen Nutzung ließ bereits einen großen Teil der ökologisch wertvollen Feuchtflächen in unserer Region verschwinden, sehr zum Bedauern von Ludwig Bertle. Damit ginge ein Großteil der spezifischen Flora und Fauna solcher Naturräume verloren.
Bewahren des kulturellen Erbes
Ein Gesamtplan für den Erhalt der Kulturlandschaft zu erstellen, ist nach Einschätzung von Ludwig Bertle praktisch unmöglich. Ein
Planungsbüro könne zwar einen großräumigen Plan für die Pflanzung von
Flurbäumen, Hecken etc. festlegen, doch würde dem ein Großteil der Grundbesitzer
widersprechen. Seiner Erfahrung nach lässt sich die bedrohte Kulturlandschaft
nur in vielen Einzel-, ja Trippelschritten mit einem Gesamtplan im Hinterkopf
verteidigen. „Dabei muss man sehr geduldig warten können bis die Zeit reif ist,
bis Grundeigentümer zustimmen oder ein Hagelunwetter unübersehbare Schäden anrichtet“. Für Ludwig Bertle
sind Projekte wie Dorferneuerung oder konkrete Förderprogramme als
Argumentationshilfe sehr hilfreich. „Schon allein deshalb, um größere Maßnahmen
zum Erhalt der Kulturlandschaft stemmen zu können.“ Es sei daher begrüßenswert,
dass die Bayerische Staatsregierung durch Renaturierungsprojekte bis 2030 ein
Drittel der Moore wieder herstellen möchte. „Aber auch Programme wie ,FlurNatur‘, setzen das richtige Zeichen“, sagt Ludwig Bertle. „Dadurch konnten mit
finanzieller Unterstützung des ALE in der Eglfinger Flur 216 Bäume gepflanzt
werden.“
Umgestaltung der Landschaft
Das Bewahren der Kulturlandschaft in Einklang mit anderen
Nutzungsinteressen zu bringen, muss sich nicht immer ausschließen, ist Ludwig
Bertle überzeugt. Vielmehr könne man das auch mit einer schonenden Anpassung an
die Landschaft erreichen. Um auf landwirtschaftliche Bedürfnisse Rücksicht zu
nehmen, könnte man z.B. bei Neupflanzungen die Bäume als Grenzbäume auch an den
Rand setzen, statt wie üblich in die Mitte der Flur. Für das Landschaftsbild
sei es gleichgültig, ob der Baum am Rande oder in der Mitte der Weiden steht. „Durch die kleinteilige
Struktur der Eglfinger Flur haben wir viele potenzielle Plätze für Grenzbäume“.
Mit Umgestaltung meint Ludwig Bertle aber auch, dass man z.B. Hecken
und Gehölze als „Windbremse“ und Lebensraum für Insekten und Vögel neu anlegt.
Hecken, Gehölze und Bäume ließen sich ebenfalls entlang von Feldwegen pflanzen. Zustimmung finden Pflanzmaßnamen aber
nur, wenn sie keine spürbaren Einbußen an Wirtschaftsfläche und
Maschinenbedienung bedeuten, so seine Erfahrung. „Solche Maßnahmen der
Umgestaltung würden die bestehende Kulturlandschaft vorsichtig erneuern. Im Gesamtbild könnte sie aber ökologisch und ästhetisch die gleiche
Wirkung erzeugen!“
Bürgerschaftliches Engagement
Wie wichtig bürgerschaftliches Engagement ist, zeige sich aber vor
allem auch bei der Dorferneuerung. Dazu gehören die ALE mit ihren
Fördermöglichkeiten, ihren Ideen und Erfahrungen vergleichbarer Verfahren in
der Dorferneuerung, so der pensionierte Lehrer. „Aber auch die engagierten
Bürger sind wichtig mit ihren Ideen und Ortskenntnissen, die der Außenstehende
nicht hat“. Mit 75 Jahren denkt Ludwig Bertle nicht ans Aufhören. Er mischt sich
immer noch ein, ob in der Vorstandschaft des
Gartenbauvereins, als Lehr- und Krautackerbeauftragter oder beim Deutschen Alpenverein (DAV) als Mitglied des Lehrteams für
Umweltbildung. Schlecht ginge es ihm nur, wenn er nur noch lesen dürfte, was
andere machen. Oder versäumen. Das mag man sich bei einem wie Ludwig Bertle
nicht vorstellen.