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Bergmähder am Hochgern in den Chiemgauer Alpen

Eine Person schiebt eine Maschine, die das Heu wendet.
Almmahd am Hochgern unter anspruchsvollen Bedingungen
© Christian Tegethoff
Bereits in seiner Kindheit verbrachte Christian Tegethoff viel Zeit am Hochgern. Seit er als Dreizehnjähriger bei einem Landwirt in Unterwössen mitgearbeitet hat, hat ihn die Landwirtschaft nicht mehr losgelassen. Er entdeckte seine Leidenschaft zur Almwirtschaft und ist mittlerweile seit fast 15 Jahre auf der Weitalm am Hochgern mit Weidepflege, Weidemanagement, Tierkontrolle, Zaunbau etc. aktiv. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich als Berg-/ Luft-/Canyon- und Höhlenretter bei der Bergwacht Marquartstein. Mit der Almbewirtschaftung hat Tegethoff die ideale Verbindung zwischen Beruf und Hobby gefunden. 80 bis 100 mal steigt er während einer Almsaison hinauf in seine zweite Heimat, um dort nach dem Rechten und seinen vier Galloway- Rindern zu schauen. „Es gibt nichts Schöneres, nachdem alle Tiere versorgt und gesund sind, mit einem Radler in der Hand den Sonnenuntergang zu genießen und den Tieren beim Grasen zuzusehen. Das ist für mich Lebensqualität,“ schwärmt Tegethoff. Der Kontakt zu den Menschen ist ihm ebenfalls sehr wichtig, wird er doch häufig von Wander:innen und Tourist:innen angesprochen und zur Alm befragt.

Von Menschenhand geschaffen
Almen sind laut landwirtschaftlicher Definition Hof-ferne Sommerweideflächen im Gebirge (RINGLER 2010). Ursprünglich wurden Almweideflächen durch Menschen gerodet. Sie waren sehr wichtig für die Höfe im Tal und wurden entsprechend umsichtig instandgehalten, damit das Vieh ausreichend Nahrung während des gesamten Jahres hatte. In der Regel werden Almen von Anfang Mai bis Ende September bewirtschaftet. Viehauf- und -abtrieb sind deshalb wichtige Eckpunkte im Jahr. Seitdem jedoch die Landwirtschaft in den Tallagen in den vergangenen Jahrzehnten intensiver wurde, zudem Hirten und Senner:innen rar geworden sind und weniger Tiere im Sommer oben sind, nimmt die Bewaldung und Verbuschung der Almflächen zu und die Artenvielfalt auf ihnen ab. Die wertvolle Kulturlandschaft Alm verschwindet mehr und mehr.

Klimawandel
In höheren Lagen auf den Almen zeigt sich der Klimawandel bereits deutlich. Seit dem Referenzzeitraum 1960 – 1991 ist dort die Temperatur um durchschnittlich etwa 1,6 Grad angestiegen. Im Vergleich dazu stieg sie global um 0,8 Grad an. Die vielen Steine und Felsen in der Höhe speichern die Wärme sehr gut und geben sie während der Nacht ab. Sie sind Mitverursacher der Erwärmung auf den Almen. Durch die gestiegene Durchschnittstemperatur bei ausreichenden Niederschlägen und einem deutlich früheren Vegetationsbeginn erhöht sich die Biomasse. Deshalb ist ein angepasstes Weidemanagement notwendig, denn es kann nur so viel Fläche offen gehalten werden, wie vom Vieh abgefressen wird. Ansonsten verbuschen die Flächen.

Magisches Dreieck der Alm- und Alpbewirtschaftung
Die Bayer. Landesanstalt für Landwirtschaft empfiehlt daher zur Sicherung der Almen das „Magische Dreieck der Alm- und Alpbewirtschaftung“: Rechtzeitiger Auftrieb der Tiere zum Vegetationsbeginn, Anpassung der Tierzahlen und eine gelenkte Weideführung sind der Schlüssel zur langfristigen Erhaltung der Almweideflächen. Da keine Zufütterung stattfindet und die Flächen nicht extern gedüngt werden, wird eine extensive, magere Bergwiese geschaffen und erhalten.

Tegethoff sieht diese Entwicklung als mögliche Chance für die Landwirtschaft im Tal: „Jährlich werden große Flächen für Siedlungs- und Verkehrsflächen versiegelt. 2020 waren es 11,6 ha laut Bayerischen Landesamt für Statistik. Diese Fläche wird zwangsläufig der landwirtschaftlichen Nutzung dauerhaft entzogen. Eine verstärkte Nutzung der Almflächen würde den Druck auf die landwirtschaftlichen Nutzflächen im Tal reduzieren.“

Hotspots der Artenvielfalt
Auf Almwiesen finden sich häufig extreme Lebensbedingungen dicht nebeneinander. Geologie, Klima, Höhenlage, Neigung und Exposition variieren stark auf kleinstem Raum. Die Art und Intensität der Bewirtschaftung prägen ebenfalls den Standort. Zahlreiche ökologische Nischen aufgrund mosaikartiger Strukturen entstehen so und bieten vielen verschiedenen Arten wie beispielsweise den Pflanzenarten Heilwurz (Seseli libanotis), Tiroler Frauenmantel (Alchemilla tirolensis), Zwerg-Alpenscharte (Saussura pygmaea) und den Schmetterlingsarten Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion) und Schwarzer Apollo (Parnassius mnemosyne) Lebensraum.

Natur erobert sich Land zurück
60 bis 70 Jahre wurde die Almwiesen am Hochgern-Gipfel nicht mehr bewirtschaftet. Einige Büsche und Sträucher, nur noch wenige Blütenpflanzen, dafür umso mehr Gräser wuchsen dort oben. Eine dichte Schicht aus Grasfilz (einer Schicht direkt an der Bodenoberfläche aus altem und trockenem Gras) war zwischenzeitlich entstanden. Über die Jahrzehnte reicherte sich die Fläche stark mit Nährstoffen an, wodurch sich einzelne Gräser zu Lasten von blütenreichen Pflanzen noch stärker ausbreiteten.

Pilot-Projekt „Bergmähder am Hochgern“
Das Pilot-Projekt „Bergmähder am Hochgern“ des Vereins Ökomodell Achental e.V., das von der Regierung von Oberbayern beraten und gefördert und vom Landratsamt Traunstein unterstützt wird, hat den Erhalt der Kulturlandschaft Alm und der Biodiversität am Hochgern zum Ziel. Tegethoff arbeitet am Pilot-Projekt ehrenamtlich mit und ist einer der Mitinitiatoren. „Die Alm zu erhalten und zu verbessern, damit nachfolgende Generationen diese nutzen können, ist mein Lebensprojekt,“ erklärt Tegethoff.

Gezielte Pflegemaßnahmen
2020 startete das Projekt am Hochgern. Die Lage am Gipfel ist sehr exponiert und starken Winden ausgesetzt. Deshalb hatten sich nur wenig Büsche und Sträucher angesiedelt. Eine Entbuschung war nicht nötig. Ein Mulcher brach den Grasfilz auf. 2021 wurde die Fläche gemäht und das Mähgut abtransportiert. So können die Nährstoffe auf der Hauptfläche gezielt reduziert werden. Dauerbeobachtungsflächen wurden eingerichtet, um die Veränderungen der Pflanzenarten langfristig zu überwachen. So konnten schon 2021 erste Veränderungen in der Artenzusammensetzung beobachtet werden.

Heutransport früher und heute
Früher wurde das Heu mit dem Schlitten ins Tal gebracht. Eine lebensgefährliche Aufgabe, denn ein voll beladener Heuschlitten wog bis zu einer Tonne und wurde von einer Person gesteuert und gebremst. Dramatische Unfälle waren daher keine Seltenheit. Alternativ zu den Schlitten wurde das Heu in 30 bis 40 kg schwere Netze verpackt und auf dem Rücken ins Tal getragen. Heutzutage übernehmen Seilbahnen mit einfachen Seilen, Schmalspurschlepper oder Quads diese Aufgabe. In Bayern ist die Nutzungsform der Bergmähder nahezu komplett ausgestorben. In der Schweiz findet man diese Form der landwirtschaftlichen Nutzung noch häufiger.

Beweidung als zweiter Pflegedurchgang der Almwiesen
2022 wurde nach der Mahd am Hochgern ein Weidezaun aufgestellt und eine Wasserversorgung installiert. Als die Pflanzen nach vier bis fünf Wochen nachgewachsen waren, kam eine kleine Gruppe Rinder zum Weiden auf die Almwiesen. Mit der richtigen Tieranzahl und dem Ausstecken des Weidezauns kann so ganz gezielt eine Fläche gepflegt und ausgemagert werden. Verbiss und Tritt der Tiere verfestigen die Grasnarbe und die Bestockung wird angeregt. Durch die jährliche Beweidung kann die wieder gewonnene, aus Naturschutzsicht sehr wertvolle Fläche dauerhaft erhalten werden. Tegethoffs vier Galloway Rinder gehören zu den extensiven Rinderrassen. Bei den anderen „Hochgern-Rindern“ handelt es sich um Fleckvieh und Pinzgauer Rinder. Tegethoff sieht bei der Beweidung drei große Vorteile: gesünderes Vieh und entlastete Talbetriebe, wenn die Tiere nur noch von Herbst bis Frühjahr im Tal sind. Außerdem die klassische Kreislaufwirtschaft: Die Pflanzen werden vor Ort gefressen und die Exkremente bleiben auf den Weiden liegen, d.h. Nährstoffe werden weder zusätzlich zugeführt noch entnommen. Was Tegethoff ganz besonders schätzt, ist der persönliche Bezug zu den Tieren: „Sie kennen einen, kommen auf Zuruf her und laufen einem dann hinterher.“


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