Zum Inhalt springen

Der Kiebitz ist wählerisch

Die neu angelegten Tümpel 2006, die Vegetation hat sich schnell entwickelt, Foto: Ulrich Meßlinger
Die neu angelegten Tümpel 2006, die Vegetation hat sich schnell entwickelt, Foto: Ulrich Meßlinger
© Land:Belebt
Mit der Gewässerrenaturierung an Rezat und Borsbach ist ein Verbund an neuen Lebensräumen entstanden. Diese Einladung haben viele gefährdete und sogar höchst anspruchsvolle Tier- und Pflanzenarten schon nach kurzer Zeit gerne angenommen. Ein Monitoring hat die Entwicklung über mehrere Jahre begutachtet und gezeigt: Spezialisten sind wählerisch. Auch in Flora und Fauna.

Es sei schon ein besonderes Projekt gewesen, sagt Thomas Himml vom Amt für Ländliche Entwicklung im mittelfränkischen Ansbach. 21 Hektar zusammenhängende Fläche für die Umwandlung einer ausgeräumten Flusslandschaft mit intensiv genutzten feuchten Wiesen in eine vielfältige, naturnahe Auenlandschaft ist schließlich nicht gerade wenig. Im Rahmen der Flurneuordnung konnten die Teilnehmergemeinschaft (die Gemeinschaft der Grundstückeigentümer), die Gemeinde Flachslanden und das Wasserwirtschaftsamt Ansbach die Flächen entlang der Fränkischen Rezat und des Borsbachs erwerben und damit im Jahr 2002 eine Gewässerrenaturierung im großen Umfang starten.

Baggern für mehr Natur
„Flurneuordnung ist ja viel mehr als Wege bauen und Äcker zusammenlegen“, sagt Thomas Himml, „wir haben hier mehr Ausgleichsmaßnahmen geschaffen als es für die Eingriffe notwendig gewesen wäre“. Trotzdem müssen auch bei Maßnahmen für den Naturschutz erst einmal die Bagger rollen. Im ersten Abschnitt in der Rezataue entstanden Flachmulden, Aufweitungen, Tümpel und ein größeres Stillgewässer. Der zweite Flussabschnitt der Rezat bekam 2004 ein neues Bett, womit ihr Verlauf wieder dem natürlichen Talgefälle angepasst wurde. Eine große gestaute Wasserfläche, die als Sedimentfalle wirkt, abgeflachte Ufer, Rampen mit Steinschüttungen, Grabenaufweitungen, der Einbau von Wurzelstöcken und viele andere wasserbauliche Maßnahmen in den Folgejahren gaben diesem Abschnitt wieder eine naturnahe Gestaltung. Anders in der Borsbachaue: Hier gab es keine baulichen Maßnahmen, vielmehr ersetzt nun ein differenziertes Mähkonzept auf den Wiesen die bisherige landwirtschaftliche Nutzung. Das bedeutet auch, dass keine Düngung mehr eingebracht werden darf. In einem weiteren Abschnitt des Borsbachs entstanden 2003 Aufweitungen, ein Entwässerungsgraben und ein größeres Rückhaltebecken. Diese Flächen wurden der Sukzession überlassen, sie blieben also ohne Nutzung und Pflege.

Biodiversität in Zahlen
Doch wie wirken sich all diese Maßnahmen nun auf die Tier- und Pflanzenwelt aus? Wie entwickeln sich die neu geschaffenen Lebensräume? Genügen sie den Ansprüchen gefährdeter und spezialisierter Arten? Um das herauszufinden, beauftragte das Amt für Ländliche Entwicklung Mittelfranken den Biologen Ulrich Meßlinger mit einem Monitoring. Von 2003 bis 2007 kontrollierte er die Entwicklung der Vegetation und verschiedener Tiergruppen in vier Gewässerabschnitten und einer Referenzfläche. Damit liegen nun konkrete Zahlen vor, welche Maßnahmen welche Auswirkungen auf die Lebensräume von Flora und Fauna haben. Mehr noch: Aus dem Gutachten lassen sich auch Empfehlungen für ein optimales Flächenmanagement im Untersuchungsgebiet und für künftige Gewässerrenaturierungen ableiten.

Pflanzen auf dem Vormarsch
Die vielen Einzelmaßnahmen haben messbare Erfolge gebracht: Die neu gestalteten Flächen waren schnell bewachsen, Pionierpflanzen eroberten offene Böden und auf den gemähten Flächen hat die Artenvielfalt der Wiesenblumen zugenommen. Viele der 23 Rote-Liste- und andere wichtige Pflanzenarten im Projektgebiet konnten ihre Bestände ausweiten. Bereiche im und am Gewässer wurden Lebensraum für Pflanzen, die bestimmte Wasserstände brauchen, Großseggen haben sich in den ungenutzten Nasswiesen und Sukzessionsbereichen ausgebreitet und 16 wichtige Röhricht- und Wasserpflanzen haben sich sogar neu angesiedelt.

Es kreucht und fleucht allerorten mehr
Die naturnahe Modellierung des Geländes und die wachsende Vielfalt der Vegetation hat auch Auswirkungen auf die Tierwelt. So hat sich die Anzahl der Libellen in den Rückhaltebecken innerhalb von drei Jahren fast verzehnfacht. Dreißig verschiedene Arten, darunter neun der Roten Liste und drei der stark gefährdeten Fließgewässerlibellen finden dort gute Bedingungen. Auch haben Gras- Grün- und Laubfrösche, Erdkröten und Molche in den Tümpeln und Flachweihern ideale Laichplätze gefunden. Tagfalter haben davon profitiert, dass sich an den Gewässerrändern und auf den Wiesen Mädesüß, Brennnessel und viele andere Stauden und Gehölze ausbreiten dürfen. Und auch die Heuschrecken sind mit 19 Arten vertreten, darunter elf der Roten Liste, für die sich der Mix aus Brach- und Mähflächen bestens bewährt hat. Nicht zu vergessen der Biber, der dort seine gestalterischen Wasserbau-Aktivitäten aufgenommen hat.

Und die Vogelwelt? Im Gutachten hat Ulrich Meßlinger 102 Vogelarten registriert, darunter rund 60, die als gefährdet gelten. Dazu gehören regional seltene und anspruchsvolle Vogelarten, wie Bekassine, Blaukehlchen, Braunkehlchen, Wachtelkönig und viele andere, die im Projektgebiet ihren Lebensraum finden. Wasservögel, Wiesenbrüter und Watvögel kommen immer wieder zur Rast und Nahrungssuche in die Auenlandschaft. Doch Spezialisten sind anspruchsvoll. Dem Kiebitz waren die Großseggen, die sich auf den aufgelassenen Wiesen entwickelt haben, als Bruthabitat nicht mehr gut genug, er hat sich nicht mehr blicken lassen. Dafür hat sich aber erstmals der Karmingimpel nachweisen lassen.

Wie es euch gefällt
Dynamik ist immer drin, wo es wächst und gedeiht. Was den einen ein neues Paradies ist, genügt den Ansprüchen anderer nicht mehr. In den fünf Jahren des Beobachtungszeitraums sind die Auswirkungen einer sich verändernden Vegetation deutlich geworden. Pflanzenarten, die als Pioniere offene Rohböden besiedelten verabschiedeten sich dann wieder, wenn die Vegetation zunehmend dichter wurde und aus angeflogenen Samen Gehölze heranwuchsen. Doch aus solchen Veränderungen entwickeln sich neue Lebensräume, die genau die Qualitäten anbieten, die andere, ganz spezielle Tier- und Pflanzenarten brauchen.

Insgesamt waren die Maßnahmen ein enormer Gewinn für die biologische Vielfalt. Das Monitoring hat gezeigt, dass anspruchsvolle und stark gefährdet Tier- und Pflanzenarten schnell und nachhaltig davon profitiert haben, dass Uferbereiche nicht mehr landwirtschaftlich genutzt und stattdessen mit einem fundierten Konzept zu wertvollen Lebensräumen wurden. Wie sich die Auenlandschaft nun zehn Jahre später zeigt? Das wäre sicher eine neue Erhebung wert.


Ulrich Meßlinger hat in seinem Gutachten noch einige wichtige Tipps mitgegeben:
  • Bodenordnung ermöglicht es, die Interessen von Naturschutz, Landschaftspflege, Landwirtschaft und Wasserwirtschaft gleichermaßen zu wahren. Wichtig: Abstandsflächen schaffen, um Nutzungskonflikte zu vermeiden.
  • Hochwasserschutz und Naturschutz sind oft Spannungsfelder, deshalb ist eine gründliche Voruntersuchung wichtig, die mit den Naturschutzbehörden abgestimmt ist.
  • Den Untersuchungszeitraum bei faunistischen Erhebungen auf mindestens drei bis fünf Jahre anlegen, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Erfolgskontrollen machen auch die Berechtigung für Flächenankäufe und weitere Renaturierungsmaßnahmen transparenter.
  • Erfahrene Baufirmen auswählen. Naturnahe Gewässergestaltung erfordert andere Fähigkeiten und Blickwinkel als technischer Tiefbau.
  • Planungsgrundsätze beibehalten, aber Details in der Bauausführung vor Ort flexibel entscheiden.
Vorheriges Projekt