Biesterfelder Renette oder Gute Luise – alte Apfel- und Birnensorten, die längst verschwunden wären, gäbe es nicht Streuobstinitiativen, wie z.B. das Biodiversitätsprojekt „Apfel-Birne-Berge“. Mit dem Projekt möchte man alte Apfel- und Birnensorten des oberbayerischen Alpenvorlands wieder entdecken und den Bestand sichern, aber auch für das Thema Streuobst in der Region sensibilisieren. Aus diesem Grund haben sich die sechs Voralpenlandkreise Traunstein, Rosenheim, Miesbach, Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau sowie die Biosphärenregion Berchtesgadener Land e. V. und der Bezirksverband Oberbayern für Gartenkultur und Landespflege e.V. zu einer Trägerschaft zusammengeschlossen. In dem auf fünf Jahre angelegten Projekt wurde begonnen, die vergessenen oder unbekannten Regionalsorten in Sondererhaltungsgärten, den „Obstsortenarchen“, der beteiligten Landkreise nachzuziehen, zu testen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Oktober 2023 wurde mit der Pflanzung der Nachzucht von teilweise sehr alten Bäumen begonnen. Voraussichtlich bis Herbst dieses Jahres werden dort über 1200 junge Bäume als Hochstämme und kleine Spindelbäume für die Zukunft herangezogen.
Feiern des Erreichten
Dass durch dieses
Biodiversitätsprojekt und dem Engagement vieler Beteiligter über 250 alte
Apfel- und Birnensorten wieder eine Renaissance erleben, würdigte der
Projektträger Landkreis Rosenheim und die Initiatoren mit einer Fachtagung und
Feier nach dem Motto „Wir feiern Streuobst!“ im Sommerkeller des Rathauses
Bernried am Starnberger See. Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber würdigte
das Biodiversitätsprojekt mit einer persönlichen Grußbotschaft per Video.
Andrea Jochner-Weiß, Landrätin des Landkreises Weilheim-Schongau, überbrachte
ihre Grußworte auch stellvertretend für die beteiligten Landräte des Projekts.
Bei Fachvorträgen und an Infoständen konnten sich beim „Stände-Rendezvous“ die
Tagungsbesucher rund um das Thema Streuobst informieren. Am Stand des Amtes für
Ländliche Entwicklung (ALE) berieten Dominik Fürmann und Philipp Martin vom
ALE sowie Stefanie Federl von der Regierung von Oberbayern über
Fördermöglichkeiten bei Streuobstbäumen. Mit weiteren Ständen waren die
Landesanstalten für Landwirtschaft (LfL) und Wein- und Gartenbau (LWG), der
Landkreis Rosenheim mit einem Angebot zur Baumwartausbildung, die
Streuobstpädagogen sowie die Landschaftspflegeverbände von Traunstein und
Rosenheim und die Deutsche Genbank Obst vertreten.
Meilenstein für die Kulturlandschaft
Bei den Fachvorträgen machte
Projektmanagerin Eva Bichler deutlich, dass es bei einem Projekt dieser
Größenordnung nicht so einfach gewesen sei, neben bürokratischen Hürden die
sechs beteiligten Landkreise schnell unter einen Hut zu bekommen. „Neben diesen
,Stolpersteinen‘ gab es aber auch immer wieder viele Glücksmomente“, betonte
die Diplom-Ingenieurin. Als besonderen Glückstag nannte Eva Bichler den 18.
Mai 2021, als der Bayerische Streuobstpakt geschlossen wurde. „Das ist ein
Meilenstein für die Kulturlandschaft“, so Eva Bichler. Und bedeute auch
Rückenwind für das Biodiversitätsprojekt. Bei all den positiven Entwicklungen
müsse man aber auch bedenken, dass Streuobstprojekte eine lange Vorlaufzeit
haben und selbst fünf Jahre nicht ausreichen. Apfel-Birne-Berge „ABB2.0“ sei
deshalb bereits beantragt, um die Sorten weiter erforschen und verbreiten zu
können.
Neben den Kreisfachberatern der sechs Landkreise, der Projektleitung und -verwaltung, den Projektpartnern tragen auch diverse Fachberater zum Erfolg des Projekts bei, wie der Pomologe Georg Loferer. Der Bio-Landwirt aus Thalham unterstützt das Team mit seiner Expertise und nahm mit Unterstützung des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB) die Kartierungen zum Biodiversitätsprojekt vor. Loferer räumt bei seinem Fazit ein, dass die Sortenvielfalt am oberbayerischen Alpenrand zwar riesig sei, aber trotzdem akut gefährdet. „Nur durch gezieltes Pflanzen und Veredeln alter heimischer Pflanzen können wir diesen Schatz bewahren.“
Welche Aufgaben bei der Erhaltung obstgenetischer Ressourcen der Deutschen Genbank Obst zukommen, erläuterte Dr. Stefanie Reim. Die Genbank sorgt für eine langfristige und effiziente Nutzung obstgenetischer Ressourcen in Deutschland. Neben der pomologischen Bestimmung und genetischen Überprüfung kommt bei der Sortenbestimmung auch Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz, so Reim. Studien zeigen bei der Sortenbestimmung mittels KI bereits eine hohe Treffsicherheit, dennoch sei derzeit aber noch keine KI zu erwarten, die alle Sorten erkenne. Ansätze für eine Verbesserung seien aber vielversprechend, so die Wissenschaftlerin aus Dresden.
Referent Alois Wilfling aus der Steiermark sieht die Zukunft in klimafitten Hochstamm-Produktionssystemen (HPS). Dafür brauche es verstärke Anstrengungen bezüglich der Auswahl klimafester Sorten und adaptierter Erziehungssysteme, so der Biologe und Baumwart. HPS müssten so etabliert werden, dass eine zeitgemäße Bewirtschaftung möglich sei. Zudem müssten Hochstamm-Produkte die Wünsche der Kunden treffen.
Kulinarische Vielfalt bei Streuobst
Die Tagungsleiter und Kreisfachberater
Heike Grosser und Arno Jäger der Landratsämter Weilheim-Schongau bzw. Miesbach
führten durch das Tagungsprogramm und leiteten launig zum Mittagsmenü über,
das natürlich ganz im Zeichen des Themas Streuobst stand. Dies zeigte vor
allem, wie Streuobst kulinarisch unseren Speiseplan bereichern kann, z.B.
durch eine cremige Apfel-Meerrettich-Suppe. Die Verkostung mit Säften aus
Sorten wie Geddelsbacher Mostbirne oder Bayerische Weinbirne, Cidre aus
diversen regionalen Obstsorten oder Kletzen-Pralinen mit Schokolade stellten
die erstaunliche Geschmacksvielfalt von Streuobst unter Beweis. Dass das
Tölzer Duo Josef Kloiber und Martin Regnat das Volkslied „Drunt in der greana
Au steht a Birnbaam, schee blau, juche!“ zum Besten gab, versteht sich von
selbst.