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Hier ist gut Kirschen essen

Die Obstwiese bei Pretzfeld wurde zum Vogelschutzgebiet. Foto: Gerhard Raab.
Die Obstwiese bei Pretzfeld wurde zum Vogelschutzgebiet. Foto: Gerhard Raab.
© Land:Belebt
Vogelscheuchen braucht man hier nicht, ganz im Gegenteil. Im oberfränkischen Pretzfeld wurde eine große Fläche voller alter Kirschbäume in der Flurneuordnung zu einem Vogelparadies. Das hat sogar den Wendehals dazu bewogen, hier zu brüten und selbst dem Ertragsobstbau nur Vorteile gebracht.

Eine alte Wasserleitung war’s. „Da hat es bei mir Klick gemacht“, sagt Baudirektor Franz Kamhuber vom Amt für Ländliche Entwicklung Oberfranken (ALE). Dieser Nordhang mit seinen nassen Böden und dem alten Obstbaumbestand wäre doch ein ideales Habitat für Vögel, dachte er sich. Eine ungenutzte Wasserleitung verlief mittendurch, an manchen Stellen hatte sich Röhricht ausgebreitet. Und wie es manchmal so ist: Was für die einen unwirtschaftlich ist, kann für die anderen ein Paradies sein. Für den Ertragsobstbau in der Fränkischen Schweiz, dem größten Kirschanbaugebiet Bayerns, war die Fläche jedenfalls nicht sonderlich produktiv, für die Biodiversität aber umso mehr.

Rohre raus, Natur rein
Für jemanden wie Franz Kamhuber ist so eine feuchte Obstbaumwiese eine Steilvorlage, dort ein Biotop anzulegen. „Denn wenn wir was für den Naturschutz machen, dann machen wir auch was Gescheites“, sagt er, „Biodiversität bedeutet schließlich Stabilität.“ Dazu gehört es für ihn, möglichst mehrere Biotoptypen zu kombinieren, die sich gegenseitig befruchten. Ganz konkret bedeutete das: die verrohrte Leitung öffnen, einen naturnahen Graben für ein Fließgewässer daraus machen, dazwischen ein paar ordentliche Tümpel anlegen und den alten Obstbaumbestand als Brut- und Nahrungshabitat für Vögel erhalten. Was aber genauso wichtig ist? Sich den richtigen Partner mit ins Boot holen. Das war in diesem Fall der Landesbund für Vogelschutz (LBV), der von Kamhubers Vorhaben sofort überzeugt war und die Fläche sogar mit einem eigenen Pflege- und Entwicklungskonzept übernommen hat. Außerdem sorgte er noch für die Neupflanzungen von Obstbäumen und Hecken, legte Totholzhaufen und eine Steinmauer an. Das Ergebnis ist ein Vogelschutzgebiet von 2,2 Hektar Fläche, das nun als Naturschutzfläche gesichert ist. Gleich einer Nabelschnur ist der naturnahe Graben jetzt ein pulsierender Lebensraum, der die Fläche durchzieht und die anderen Biotopstrukturen belebt.

Beste Kinderstube für Vögel
Übersetzt für die Tierwelt heißt das: eine gut gefüllte Speisekammer und ideal eingerichtete Kinder- und Schlafzimmer. Die Kreisgruppe Forchheim des LBV schaut nun regelmäßig nach, wer dieses Angebot so alles angenommen hat. Kernbeißer, Goldammer, Stieglitz und Heckenbraunelle brüten regelmäßig. In den über dreißig Nistkästen richten Höhlenbrüter wie Kohl-, Blau- und Sumpfmeise, Kleiber und Feldsperling ihre Kinderstuben ein, und selbst der Wendehals und der Neuntöter geben sich die Ehre, hier ihren Nachwuchs aufzuziehen. Habicht und Sperber kommen als Jagdgäste vorbei, der Waldkauz hat sich hier seinen Schlafbaum auserkoren und für die heimischen Vogelarten ist die Fläche als Rückzugsgebiet im Winter genauso wichtig, wie für Rehe, Hasen und Fasane. Ein gelungenes Projekt für die biologische Vielfalt ist da entstanden, wie alle Beteiligten finden.

Potentiale der Landschaft erkennen
Nun ist es aber beileibe nicht so, dass hier für den Naturschutz nur die Restflächen verwendet wurden, die sowieso niemand wollte. „Nein“, sagt Franz Kamhuber, „dieser Nordhang mit seinem feuchten Boden ist für den Kirschanbau einfach denkbar ungeeignet“. Denn leider sind Kirschen zuweilen etwas kapriziös, da muss nicht nur die Sorte, sondern auch die Höhenlage ganz genau stimmen, sonst kann der Spätfrost schon mal eine ganze Ernte zunichte machen. Deshalb war klar: die Südhänge mit den besten Ertragsbedingungen für die Obstbauern, die Nordhänge für andere Entwicklungen. „Differenzierte Landnutzung“ nennt das Franz Kamhuber, wenn er versucht, die Potentiale der Landschaft bestmöglich auszuschöpfen. „Als Ausgleichsfläche für die Flurneuordnung hätten wir die Fläche nicht gebraucht. Aber ich bin Gestalter, kein Verwalter, ich habe einfach das enorme Potential für den Naturschutz gesehen“. Deshalb sind in Pretzfeld über drei Hektar mehr an Flächen für die biologische Vielfalt entstanden, als vorgesehen war.

Gerecht geteilt
Die Erträge auf dieser Streuobstwiese gehen jetzt an die Vögel und an die vielen anderen Tier- und Pflanzenarten, die sich darauf eingerichtet haben. Für die sind der naturnahe Graben, die Tümpel, die alten Obstbäume, die extensiven Wiesen und die Hecken produktive Strukturen, die ihnen ihren Lebensraum sichern. Und klar - süße Kirschen mögen alle. Hier sind sie gerecht aufgeteilt.
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