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Warum Ackerwildkräuter der Landschaft, der Vielfalt und den Menschen guttun

Mohnblumen am Ackerrand
Ackerwildkräuter können die Kulturlandschaft großflächig bereichern
© Aline Stieglitz
Unkraut auf dem Feld? Für viele ist es eine romantische Vorstellung vom Landleben, wenn zwischen den Getreidehalmen bunte Blumen blühen. Doch Ackerwildkräuter sind viel mehr. Und Unkraut schon gar nicht. „Ackerwildkräuter bereichern die Artenvielfalt, denn sie erweitern das saisonale Blühangebot für Insekten, fördern das Bodenleben, sind Lebensraum und Nahrungsgrundlage für Feldvögel und sorgen insgesamt für ein besseres ökologisches Gleichgewicht“, sagt Aline Stieglitz von der Biobauern Naturschutz Gesellschaft GmbH. Doch die wilden Ackerschönheiten sind auf dem Rückzug. Denn der Herbizideinsatz in der Landwirtschaft lässt ihnen keinen Lebensraum. Nur noch selten sieht man sie auf den Feldern. Das soll sich ändern. Die Bioland Naturschutzberaterin unterstützt Biolandwirte dabei, mit Ackerwildkräutern mehr für die Artenvielfalt in der Landschaft zu tun. Gerade in der Großräumigkeit der landwirtschaftlichen Flächen sieht sie die enorme Chance, „mit den Ackerwildkräutern wirklich etwas auf den Weg zu bringen und große Landschaftsräume aufzuwerten.“ Im Praxisprojekt „Ackerwildkräuter erhalten und fördern mit Biobetrieben in Bayern“ wurden bereits auf knapp achtzig Flächen Wildkräuter gezielt wiederangesiedelt.

Wild und wertvoll
So auch im schwäbischen Petersdorf, wo der Biolandwirt Christoph Reiner gemeinsam mit der Verpächterfamilie Ehm den Tipp von A.ckerwert zum Anlass genommen hat, sich an diesem Projekt im Herbst 2021 zu beteiligen. Lioba Degenfelder von A.ckerwert, die Pächter und Verpächter für diese Idee begeistern konnte, sieht hier eine ideale Verbindung zwischen Naturschutz und Landwirtschaft. „Ackerbau und Artenschutz – das geht durchaus zusammen“, sagt sie. Denn die allermeisten Ackerwildkräuter sind keine störenden Beikräuter, und sie haben auch keinen Einfluss auf den Ertrag. Nur rund zwei Dutzend der 350 Ackerwildkräuter machen Probleme, wie die Ackerkratzdistel oder die Melde. Doch die halten Ökobetriebe mit der entsprechenden Bodenbewirtschaftung und Fruchtfolge in Schach, sagt Aline Stieglitz.

Störung erwünscht
Doch was unterscheidet Ackerwildkräuter von Wiesenblumen oder Blühflächen? Die Erklärung tragen sie schon im Namen. Klatschmohn und Co. sind an die Bewirtschaftung der Flächen angepasst. Mehr noch: Sie sind darauf angewiesen, dass der Boden jährlich umgebrochen wird. Nach der Blüte produzieren sie große Mengen an Samen, mit denen sie in der Erde überdauern. Sobald der Ackerboden nach der Ernte der letzten Feldfrüchte bearbeitet ist und offen da liegt, schlägt ihre Stunde und sie beginnen wieder zu keimen. Diese „Störung“ durch den Pflug oder die Egge kommt ihnen also genau zupass. Sie wachsen dann zwischen den Feldfrüchten heran, bedecken den Boden, schützen damit vor Erosion und entfalten ihre ganze ökologische Wirkung.

Was im Boden schlummert
Für die Förderung der Wildflora auf dem Acker gibt es verschiedene Strategien, die individuell auf die Biobetriebe abgestimmt werden. Die Beraterinnen und Berater schauen sich die Standortbedingungen an und kartieren die vorkommenden Arten. Damit können sie abschätzen, was an Samenpotential im Boden ist. „Das ist bei Flächen, die schon länger auf Ökolandbau umgestellt haben, meist beträchtlich“, sagt Aline Stieglitz. Manchmal reicht das, was schon im Boden ist, und nur darauf wartet, ans Licht und dauerhaft zur Blüte zu kommen. Auch sind veränderte Bearbeitungsmaßnahmen hilfreich: Bei einem späten Stoppelumbruch samt der Acker-Rittersporn zum Beispiel noch einmal aus und bekommt die Chance, sich in Stellung zu bringen, erklärt die Beraterin. Und dann gibt es noch die gezielte Wiederansaat. Dafür werden meist drei bis sechs Pflanzenarten von Hand eingesät.

Kühle Keimer
Manche Betriebe starten mit den Ackerwildkräutern zunächst auf Randstreifen, andere gleich auf ganzen Ackerflächen. Auf dem Biohof Reiner in Petersdorf haben Pächter- und Verpächterfamilie in einer gemeinsamen Aktion Echten Frauenspiegel, Ackerröte, Einjährigen Knäuel, Saat-Mohn und Gefurchten Feldsalat auf einem Feld eingesät. Das Saatgut stammt aus einem Projekt der Bayerischen KulturLandStiftung. Teamwork auf allen Ebenen also für ein so schönes Projekt, das allen am Herzen liegt. Der November war für die Aussaat ideal, weil viele der Ackerwildkräuter Herbstkeimer sind. Gemeinsam haben die Familien die Saatgutmischung wenige Tage nach den Winterfrüchten auf dem Acker ausgebracht. Zusammen mit der Biolandberaterin hat Landwirt Reiner die weitere Strategie der Bodenbearbeitung abgestimmt, damit die Neuansaaten auch die bestmöglichen Chancen für eine langfristige Etablierung haben. Der Striegel, mit dem Beikräuter entfernt werden, kommt hier erst einmal nicht zum Einsatz.

Schönheit ins Feld führen
Klar, dass das Saatgut aus den entsprechenden Naturräumen stammen muss. Das liefern entweder Saatgutproduzenten oder wird auch einmal kleinräumig beim Nachbarlandwirt gesammelt und übertragen. „Hier tun sich Betriebe zusammen, und die Biolandwirte schauen, ob sie beim Kollegen sammeln dürfen. Auch das sind schöne Auswirkungen“, sagt Aline Stieglitz. Über das Ackerwildkraut-Projekt können die Betriebe kostenloses Saatgut für die Naturräume Münchner Schotterebene und das Frankenjura erhalten. Die Landwirte selbst gehen sehr motiviert und positiv an das Thema heran. Schließlich ist das auch eine gute Gelegenheit, zu zeigen, was sie in Schwung bringen. Deshalb ist es auch wichtig, dass Schilder an den Feldern darüber informieren, was hier gerade passiert. Und da wäre dann auch noch das Thema „Ästhetik“ in der Landschaft. Denn nicht zu vergessen ist, dass Ackerwildkräuter auch einfach richtig schön sind. Sie sind die Zugabe an das Landschaftserlebnis, das vielen Menschen ein gutes Gefühl, ein Heimatgefühl gibt. Lioba Degenfelder von A.ckerwert hat dazu noch einen ganz besonderen Tipp: „Geben wir diesem Erleben doch selbst mehr Gewicht und trauen wir uns, Ästhetik und Schönheit als Argument ins Feld und auf den Acker zu führen. Ein Kompliment an den Landwirt für die Kornblume und den Klatschmohn am Feldrand wäre ein Anfang…“

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